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Familienseminar

Der Arbeitskreis Resozialisierung führte 2000 zum vierten Mal ein Familienseminar für Strafgefangene aus bayerischen Haftanstalten und deren Angehörige durch.
Die Konzeption wurde weitgehend vom Diakonischen Werk übernommen, welches von 1980 bis 1996 regelmäßig Langzeitseminare veranstaltete. Das Seminar besteht aus zwei Teilen, einem Vortreffen (1 Wochenende) und einem Hauptseminar (10 Tage).
Die Anstaltspfarrer bzw. die Fachdienste wählen geeignete Gefangene aus, die bereits Vollzugslockerungen haben müssen und deren Entlasszeitpunkt nicht in allzu weiter Ferne liegt.
Das mit der Durchführung betraute Team besteht aus Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen (teilweise mit Zusatzausbildung), Erzieherinnen, einem Pfarrer und Praktikantinnen der Fachakademie für Sozialpädagogik.
Die Zielsetzung ist, Familie und Partnerschaft für die Teilnehmer/-innen, wieder (er-)lebbar zu machen.
Dies bedeutet:

Ermöglichen von neuen Erfahrungen im Umgang miteinander
Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse und der Bedürfnisse der anderen Familienmitglieder
Austausch über Erwartungen an Partner und Kinder
Klärung von Belastungen für die Partnerschaft aus der Vergangenheit
Erkennen von und Umgang mit haftbedingten Veränderungen
Entwickeln einer gemeinsamen, realistischen Zukunftsperspektive

Seminarort war wieder die Gemeindeakademie der Rummelsberger Anstalten. Es nahmen sowohl am Vortreffen als auch am Haupttreffen 15 Familien (30 Erwachsene und 24 Kinder) teil.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in drei Gruppen mit je fünf Familien unterteilt. Dabei wurde darauf geachtet, die Gruppen möglichst gemäß dem Alter der Kinder (Kleinkinder, (Vor-) Schulkinder und Jugendliche) zusammenzustellen.

Das Vortreffen diente dem gegenseitigen Kennenlernen und dem Kennenlernen der Seminarstruktur (Erleben und Erproben des Tagesablaufs und der gruppenbezogenen Arbeitsweise).
Sowohl bei den Erwachsenen als auch bei den Kindern wurden Wünsche und Erwartungen an das Hauptseminar abgefragt und in die weitere Planung einbezogen.

Im Hauptseminar wurden in den Erwachsenengruppen am Vormittag Themen bearbeitet, die sich aus der, von der Inhaftierung des Mannes geprägten Lebenssituation ergeben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten in einem geschützten Rahmen die eigenen Schwierigkeiten und Probleme in Beziehung und Familie mit denen der anderen Gruppenmitglieder vergleichen und gemeinsam Lösungsansätze für die Zukunft entwickeln.

Themen waren z.B.:
"Wie gut kenne ich meinen Partner / meine Partnerin?", "Wie gut kenne ich den Alltag meines Partners / meiner Partnerin?", "Was bedeutet mir meine Familie?", "Vertrauen in Familie und Partnerschaft", "Kind-Sein und Erziehung", "Umgang mit Konflikten", "Wie sehe ich / bewerte ich meine Beziehung in der Vergangenheit, welche Perspektiven / Vorsätze habe ich für meine Beziehung in der Zukunft?".

In den parallel dazu stattfindenden Kindergruppen stand die altersgerechte Freizeitgestaltung im Vordergrund. Wo möglich, wurde auch auf dieser Ebene auf die spezifische Lebenssituation eingegangen bzw. die daraus resultierenden Schwierigkeiten berücksichtigt. Die Gruppe der Jugendlichen befasste sich mit pubertätsspezifischen Themen.
Die Zeit zwischen Mittagessen und dem Beginn der Familiengruppen am Nachmittag stand den Familien zur freien Verfügung.

Die Familiengruppen (je 5 Familien und jeweilige Betreuerinnen und Betreuer) boten den Eltern Gelegenheit, die Nachmittage gemeinsam mit ihren Kindern gemäß deren Alter zu gestalten und zu erleben. Erfahrungs- und erlebnisorientiertes Lernen kam dabei im Gegensatz zum eher kognitiven Lernen des Vormittags (bei den Eltern) zum Tragen.

Neben den Gruppenveranstaltungen konnten die Eltern auch Paar- und Familienberatung in Anspruch nehmen. Dies war für besondere Probleme gedacht, die für den Gruppenrahmen nicht geeignet waren.

Der Tag erhielt seinen Rahmen durch die gemeinsame Morgen- und Abendrunde. Neben wichtigen Informationen hatte auch das Singen von Liedern einen hohen Stellenwert. Es wurden Lieder bevorzugt, die den Kindern besonders Spaß machen.

An den Sonntagen wurde jeweils ein Gottesdienst angeboten. Die Teilnahme war freiwillig im Gegensatz zu Pflichtveranstaltungen, wie die Morgen- und Abendrunde und die Gruppenveranstaltungen.

Ein Tiergartenbesuch und ein von den Familien selbst organisierter Spielenachmittag wurden als gruppenübergreifende Angebote organisiert. Für Schwimm- und Sportbegeisterte waren der Besuch des Hallenbads und Ballspiele aller Art in der Freizeit möglich.

Mit Begeisterung wurden die Abendangebote, wie ein Puppentheater und Jazz-Dance, wahrgenommen. Leider war die Nutzung des Geländes zum Sport, zum Spazierengehen und Spielen durch das eher schlechte Wetter nicht so gut möglich wie in den Jahren vorher.

Die Familien konnten sich im Rahmen des abgesprochenen Einzugsbereiches, der sogenannten "Bannmeile", frei bewegen. Zu Übertretungen dieses Rahmens bzw. der sonstigen verbindlichen Regeln kam es im laufenden Seminaralltag nicht.

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer beteiligten sich entsprechend ihren Fähigkeiten aktiv an den Gruppenstunden und nutzten die Möglichkeit, sich und die Beziehungen zu PartnerInnen und Kindern zu entwickeln, ggf. kritisch zu überprüfen und Neues auszuprobieren.

Die Rückmeldungen der Kinder und Eltern waren durchwegs positiv und zeigten ein hohes Maß an Zufriedenheit hinsichtlich der Rahmenbedingungen, der angebotenen Inhalte und der Arbeit der Betreuungspersonen.

Eine wichtige Ergänzung dieser Maßnahme wäre noch eine adäquate Nachbetreuung. Sie wird zwar, soweit möglich, von den Anstaltspfarrern geleistet, sollte aber in Einzelfällen dennoch in der Familie vor Ort durchgeführt werden können.
Das während des Seminars entstandene Vertrauen kann für eine sozialpädagogische Fachkraft maßgeblich sein, um das Hilfesystem am Wohnort für die betreffende Familie zu aktivieren. Die Familie als funktionierendes soziales Nahfeld ist ein Verband, der unter systemischem Blickwinkel die Gefahr eines Rückfalls nach der Entlassung des Strafgefangenen erheblich mindern kann.
Eine Familie, die in zehn Tagen Familienseminar ihre Vergangenheit und die Gegenwart intensiv betrachtet, eine realistische Zukunftsperspektive zumindest anvisiert, könnte durch begleitende Maßnahmen nach Seminarende, ein solideres Fundament für ihr Zusammenleben gestalten.

Ziel ist es, das Konzept hierzu noch weiter zu entwickeln, um die erreichten Ergebnisse des Seminars für die Familien zu festigen und im Sinne des Resozialisierungsgedankens den Rückfall zu verhindern.


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